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Beitrag vom 14.08.2003
Historias Minimas
Jana Scheerer
Hier ist der Name Programm: Inhaltlich, stilistisch und sprachlich minimalistisch entsteht eine Welt aus kleinen Geschichten. Hauptdarstellerin ist die atemberaubend öde patagonische Landschaft.
Maria hat die Teilnahme an einem Fernsehquiz gewonnen. Don Carlos sucht seinen Hund. Der Handlungsreisende Roberto will seiner Angebeten eine Torte bringen, um ihr Herz zu gewinnen.
Alle drei haben also einen Grund für eine Reise in den 300 Kilometer entfernten Ort San Julian, dessen Name fortan wie eine Verheißung über dem Film liegt: Dort will Roberto sein Glück bei der Witwe eines verunglückten Kunden finden, dort will Maria eine Multifunktionsküchenmaschine gewinnen und dort will Don Carlos seinen lang vermissten Hund abholen.
So machen sich die drei auf den Weg, Roberto mit dem Auto, Maria mit dem Bus und Don Carlos zu Fuß. Der alte Mann reißt mit der Ladenkasse von zu Hause aus, denn sein Sohn hält ihn nicht einmal mehr für fähig, alleine zur Toilette zu gehen. Dass er noch viel mehr alleine kann, zeigt Don Carlos im Laufe des Films.
Zunächst wird er von einer jungen Biologin mitgenommen, die nicht glauben kann, dass der alte Mann zu Fuß einen so weiten Weg zurücklegen will und ihn geradezu nötigt, zu ihr ins Auto zu steigen. Dieses Verhalten ist typisch für den Film und bildet einen schönen Kontrast zur Kulisse der öden, ungastlichen Landschaft: Die Menschen gehen offen aufeinander zu und helfen, wo sie können.
Doch diese menschliche Wärme wird nicht verkitscht, sondern durchaus mit ihren Brüchen gezeigt: Als Don Carlos ein wenig schwach wirkt, liefert die Biologin ihn schnurstracks in der nächsten Arztpraxis ab und setzt ihren Weg alleine fort - das ist ihr dann doch zu viel Verantwortung.
Wie der Zufall oder der Drehbuchautor will, macht auch Roberto einen Zwischenstop in der Praxis - wohl weniger aus gesundheitlichen Gründen, sondern wegen der netten Ärztin. Er kennt Don Carlos von seinen Handlungsreisen und nimmt ihn im Auto mit.
So fahren Roberto und Don Carlos vor sich hin - und genauso tut es auch der Film: Er entwickelt einen fast meditativen Charakter. Die immer gleich bleibende öde Landschaft bietet den perfekten Hintergrund für die kleinen Handlungen, die in diesem Kontext mit großer Bedeutung aufgeladen werden.
Dazu gehören Robertos Versuche, auf der Fahrt die Torte für das Kind seiner Angebeteten zu perfektionieren: Zunächst muss die unpersönlich mit dem Schriftzug "Herzlichen Glückwunsch" ausgestattete Torte um den Namen "Renne" ergänzt werden. Dann kommt ein schrecklicher Verdacht auf: Ist Renee vielleicht gar kein Junge? Dann wäre eine Torte in Form eines Fußballs vielleicht nicht ganz angemessen. Doch auch dieses Problem bekommt Roberto in den Griff: Er lässt den Fußball in eine Schildkröte umarbeiten.
Subtext des Films ist die desolate wirtschaftliche Lage Argentiniens: So feuert Roberto die diversen KonditorInnen bei der Verzierung seiner Torte mit Zitaten aus einem So-werden-Sie-erfolgreich-Buch an, das auch ihm einen neuen Zugang zu seinem Job als Vertreter ermöglicht hat.
Diese Zitate sind absurd und witzig, und bekommen im Kontext des Films doch eine eigenartige Würde: Tatsächlich führt Roberto die KonditorInnen damit zu Bestleistungen. So bekommt die ZuschauerIn niemals die Möglichkeit, sich mit einer eindeutigen Botschaft entspannt zurückzulehnen - immer bietet die nächste Szene eine neue Interpretation der vorherigen an.
Auch die unkonventionelle Verknüpfung der Handlungsstränge trägt zu diesem Gefühl der Unsicherheit bei. Während Roberto und Carlos auf langen Strecken ihrer Reise begleitet werden, treffen wir Maria erst gegen Ende des Films bei ihrem Auftritt in der Quizshow wieder.
Wer ins Kino geht, um wilde Action zu erleben, sollte "Historias Minimas" lieber meiden. Wer jedoch eine atemberaubend schöne Filmsprache zu schätzen weiß und offen für die Tragik des Alltäglichen ist, wird den Film genießen.
Ob Maria die Multifunktionsküchenmaschine gewinnt, Roberto seine Witwe und Don Carlos seinen Hund kriegt, sei hier noch nicht verraten. Nur eins ist klar: Die Hoffnung bleibt.
Historias Minimas
Regie: Carlos Sorin
Argentinien, 2002
96 Minuten,
Kinostart: 21. August 2003
OmU